Die Podien waren prominent besetzt, und eine Preisverleihung gab’s auch – spricht doch dafür, dass der 4. Evangelische Medienkongress am 12. und 13. Oktober 2016 in Hamburg ein Erfolg war. Ein persönlicher Rückblick aus Social-Media-Sicht.
Zum Schluss waren alle Tickets vergeben und die Warteliste stand an. Wer kein Glück mehr hatte, für den blieb nur Twitter zum Mitlesen. Aber Moment… wie war noch mal der Veranstaltungs-Hashtag? Eine Frage, die sich die Teilnehmenden schließlich selber beantworteten mussten: Denn leider wurde weder im Vorweg noch zu Beginn der Veranstaltung ein Hashtag kommuniziert worden.
Nachtrag: Scheint auf #ekdmk hinauszulaufen. #lt
— Evangelisch.de (@evangelisch_de) 12. Oktober 2016
Auch eine Twitter-Wall hatte es leider nicht zum Kongress geschafft. Für Barcamp-Besucher*innen wie mich ungewohnt. Immerhin stellte der NDR, in dessen Räumen der Kongress stattfand, stabiles WLAN – auch leider heute nicht auf allen Veranstaltungen selbstverständlich!
Barcamp-Besucher*innen-ungewohnt war auch der feste und sehr straffe Zeitplan. Da wir uns in kirchlichen Zusammenhängen bewegen, in denen es klare Hierarchien gibt, begann der Kongress mit Grußworten des NDR-Intendanten Lutz Marmor, der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs und des EKD-Medienbeauftragten Markus Bräuer.
Schnell nahm SPIEGEL-Korrespondent Thomas Schulz die Zuhörer dann mit ins Sillicon Valley, wo er seit Jahren arbeitet. Und etwas augenzwinkernd erzählte, wie viele deutsche Firmen dort inzwischen Besuche abstatten, um etwas vom sagenumwobenen Geist des Sillicon Valley einzuatmen. Ich musste doch etwas schmunzeln, wie viele Zuhörer*innen gebannt und beeindruckt lauschten – und man merkt, wie viel Ehrfurcht vor dem Schlagwort „Sillicon Valley“ herrscht. Dabei sind die einzelnen Projekte durchaus beeindruckend. Wenn z.B. das Investitionsvolumen dort zehnmal so hoch ist wie hier. Die „neue“ Arbeitskultur von Firmen wie Facebook oder Google oder Apple, wo es schon mal Austern in der Kantine gibt (der Saal raunt) und Campus-Verhältnisse herrschen, beeindruckt zwar die Zuhörer*innen ebenfalls. Auf der anderen Seite ist das Schlagwort „Work-Life-Balance“ noch in vielen Köpfen fest veranket. Dass Leben und Arbeit eben (doch? auch?) zusammengehören, verstehen manche eher als Ausbeutung denn als Chance. Vielleicht habe ich da als ehemalige und inzwischen Teilzeit-Freiberufliche aber auch einen anderen Blickwinkel.
Über die Zukunft der Medien jetzt Prof. Bernhard Pörksen aus Tübingen. Wie kam es zum kommunikativen Klimawandel? #ekdmk pic.twitter.com/12124zzgLF
— Kirche im NDR (@KircheimNDR) 12. Oktober 2016
Prof. Pörksen machte sich mit uns Gedanken zum kommunikativen Klimawandel. Die Macht der Medien als Gatekeeper und Influencer nimmt zwar ab – doch sehr plötzlich kann sie auch im Netz wieder aufblitzen. Denn schon ein Tweet reicht manchmal, um ein digitales Feuer oder einen Shitstorm zu verursachen. Daher braucht es auch ein Bewusstsein, dass ein „weltweites Bühnenpublikum“ alles mitliest. Daher muss sich, so Pörksen, die Gesellschaft von der digitalen (=Nutzer) zu einer redaktionellen entwickeln, die also auch bewertet und reflektiert und nicht (nur) ungehemmt nutzt oder verbreitet.
Kirchenpräsident Volker Jung von der EKHN machte sich im Anschluss Gedanken, ob Luther heute per Whatsapp und anderen sozialen Netzwerken kommunizieren würde. Schnell war die Antwort klar: Ja. Denn schon damals nutzte er die neu erfundene Buchdruckerkunst, um seine Gedanken in Wort und Schrift (und Bild!) zu verbreiten. „Gottesbegegnung als Kommuniktion“ – auch für uns ist das heute durchaus eine Herausforderung. Die Reformation veränderte also vieles: vom Kult zur Kommunikation. Sie prägte die Medien und schuf eine kommunikative Öffentlichkeit. Jung plädierte dafür, weiterhin in der Schule auch klassische Werte zu vermitteln. Und hier merkte man, wie sehr sich die Geister scheiden zwischen denen, die mit „modernen Medien“ selbstverständlich arbeiten und denen, die das alles noch etwas distanziert (wenn auch vielleicht wohlwollend) beobachten. Die digitale Revolution steht bevor? Nein, sie ist längst erfolgt!
Auf der nachfolgenden Podiumsdikussion saßen (das einzige Mal) viele Frauen vorne: Pastorin und Wort-zum-Sonntag-Sprecherin Annette Behnken, die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer, die Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen Katrin Göring-Eckardt, ZDF-Moderatorin und Journalisten Dunja Hayali, und Medienanwalt Prof. Christian Schertz. Unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema Hatespeech verhinderten nicht, dass sich die Diskussionsteilnehmer*innen sehr schnell einig waren – was den Moderator etwas in Verzweiflung stürzte, weil sich keine Auseinandersetzung ergab. Klar war: Hatespeech ist nicht gut, und sie passiert durchaus in kirchlichem Kontext wie dem Wort zum Sonntag. Schertz sprach sich ebenso wie Göring-Eckardt deutlich dafür aus, Straftaten wie Volksverhetzung oder Verleumdung anzuzeigen. Hayali plädierte dafür, sich trotz der vielen Wut im Netz nicht den Spaß verderben zu lassen. Freie Meinungsäußerung im Netz muss möglich bleiben!
Schriftsteller Christoph Hein stellte anschließend in einem „Zwischenruf“ einige Thesen in den Raum, u.a. fragte er, ob sich die Medien nicht zu sehr in die Meinungsmache einmischen, statt (nur) zu informieren. Eine Frage, die auch auf dem anschließenden Poium mit ihm, sowie Arnd Henze (ARD), Prof. Sarah Diefenbach (LMU München) und Johann H. Claussen (EKD) diskutiert wurden.
Mit ähnlichen Fragestellungen setzte sich dieses Gespräch am zweiten Tag fort. Besonders Georg Mascolo sprach sich für das Hinterfragen und Überprüfen von Fakten aus – durch die Öffentlichkeit, aber auch durch die Medien. Fehler müssten aufgedeckt und auch zugegeben werden. Mit ihm diskutierten Kai Gniffke (ARD), Stefan Niggemeier und Thomas Schiller (epd). Niggemeyer bestätigte die Notwendigkeit der Transparenz in der journalistischen Arbeit, um wieder mehr Vertrauen der Leser*innen zu gewinnen.
„Fehler sind Mist und kein Kulturgut“ – Kai Gniffke von @tagesschau #ekdmk
— Richard Gutjahr (@gutjahr) 13. Oktober 2016
Auch diese Runde landete beim Phänomen Donald Trump und der Rolle der Medien bei der Präsidentschaftskandidatur. Haben die Medien zu spät angefangen zu recherchieren, wer sich denn da bewirbt, hätte die Kandidatur also durch bessere und frühere Recherche verhindern können? Ähnlich lief es bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Herbst 2016 ab, wo vorab nicht bzw. zu wenig recherchiert wurde, was für Kandidaten dort zB für die AfD antraten. Die Medien können allerdings keine Wählerentscheidungen verhindern. Aber sie können und sollten vorher ausreichend informieren. Thomas Schiller sprach sich daher für eine Stärkung des Lokaljournalismus aus – in Zeiten, in denen immer weiter zentralisiert wird, sicher ein guter Punkt. Mascolo fasste abschließend zusammen:
mascolo: Journalisten den Dingen auf den Grund zu gehen.Den Beruf als Leidenschaft nachzugehen.Das sollte das normale Bestreben sein.“#ekdmk
— Laura (@LauraWiSo) 13. Oktober 2016
Anschließend teilte sich das Plenum in drei Workshops auf: Einen zu „Verbreitungsstrategien im Netz„, einen zu „Snapchat für Dummies“ sowie einen „Was wird der nächste Trend?“
In letzterem saß ich und hörte zu, was Richard Gutjahr und Tilo Barz (HR) sagten. Die Diskussion wurde für die Zuhörer*innen geöffnet, und auch hier schwangen Fragen nach der Bewältigung von neuem Arbeitspensum durch neue Medien mit sowie die Sorge, was die nächste Generation in der Schule lernen sollte (oder nicht mehr). Dabei wurde deutlich: Es geht nicht nur darum, mit Techniken benutzen zu können, sondern sie auch mitzugestalten. Und:
Das Internet ist nicht gut oder schlecht, sondern einfach DA! sagt @gutjahr #ekdmk
— Kirche im NDR (@KircheimNDR) 13. Oktober 2016
Und viele sind dabei leider immer noch in der Kreidezeit stehen geblieben. Aber das Digitale verändert alles. Die Kommunikation, den Umgang miteinander und – seit PokémonGo wissen wir das – sogar die Lust, sich zu bewegen. Auch daran wird deutlich: Eine Trennung von analoger und digitaler Welt ist nicht mehr realistisch. Beides gehört selbstverständlich zusammen.
Endlich setzen sich hier auch Stimmen mit Liebe & Leidenschaft für digitalen Fortschritt ein & kritisieren nicht nur! Danke @gutjahr #ekdmk
— Kirche im NDR (@KircheimNDR) 13. Oktober 2016
Nur noch 16% der Deutschen sind nach der aktuellen ARD/ZDF-Digitalstudie *nicht* online. Das müssen auch die Medien bedenken, wenn sie ihr Programm planen. Richard Gutjahr plädiert dafür, sich weniger Gedanken um konkrete Plattformen zu machen, sondern lieber das Prinzip verstehen zu lernen. Muster und Schwingungen zu erkennen und digitale Empathie zu entwickeln. Tilo Barz ergänzte:
Um das „mit diesem Internet“ zu wuppen, braucht es mehr Ressourcen – aber man erreicht die Leute auch sonst nicht!, so @tilobarz #ekdmk
— Kirche im NDR (@KircheimNDR) 13. Oktober 2016
Eine Wohltat, solche klaren Worte FÜR das digitale Leben auf dem Kongress zu hören, nachdem doch viele auch kritisch und zurückhaltend sind oder auf der anderen Seite die negativen Seiten wie Hatespeech recht dominant sind.
Puh. Viel Inhalt, viele Anregungen, aber auch die Einsicht: Es war eben keine Social-Media-Konferenz. Und vieles ist einfach noch nicht für alle selbstverständlich.
Wenn ihr selber noch einmal auf Twitter stöbern wollte, was bei der Konferenz besprochen wurde, sucht unter #ekdmk. Der nächste Kongress findet dann in zwei Jahren in München statt.